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Medienkompetenz

Stellungnahme zum JMStV

Auf einer Anhörung der SPD-Fraktion im Landtagsgebäude in Hannover bezog ich am 26. Mai Stellung zur Neufassung bzw. Korrektur des JMStV, welche für mich als Medienpädagogen nicht nur praxisfern sondern auch nicht hilfreich ist.

Meine Stellungnahme, welche von mir am 25.05. verfasst wurde:

Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten dreißig Jahren weiterentwickelt. In der industriellen Gesellschaft stand Verkehr, Mobilität an erster Stelle. In der digitalen Informationsgesellschaft steht Internet, digitale Mobilität an erster Stelle. Wie in den ersten Schritten der Verkehrserziehung braucht es Eltern, Pädagogen, die einem Kind sagen, dass es links und rechts schauen muss, wenn es über die Straße geht. Ist dies internalisiert, erreicht es später ungefährdet seinen Spielplatz, den Schulfreund usw. Ist ihnen schon einmal aufgefallen, dass es kein Schild gibt „Vorsicht! Rechts und links schauen!“ Dass es keine Straße gibt, die für unterschiedliche Alter freigegeben ist. In der digitalen Informationsgesellschaft braucht es plötzlich diese Schilder, um ungefährdet seinen Spielplatz zu erreichen. Das digitale Baumhaus seines Freundes im Internet besuchen ist dann ab 12 Jahren erlaubt.
Der JMStV versucht den Jugendschutz im Internet so zu regeln wie den eines Rundfunks oder den eines Fernsehens. Dies wird nicht funktionieren, weil hier ein ganz anderes, nicht nur technisches, Konzept zugrunde liegt. Der Versuch das Internet wie ein Radio verstehen zu wollen, zeigt einmal mehr wie von den älteren Mediengenerationen heutige Medien missverstanden werden. Keine der im Staatsvertrag vorgesehenen Möglichkeiten zur Einhaltung des Jugendmedienschutzes sind für Blogger, Twitter, Internetforen, Social Communities und all die demokratisch partizipativen Angebote eines Web 2.0 realistisch. Eine Kennzeichnung von User Generated Content ist nicht leistbar.
Ein weiteres Missverständnis: In einem internationalen Medium gibt es keine Konformität. Beispielsweise einheitliche Sendezeiten. Wir müssten dazu unterschiedlichen Zeitzonen dieser Erde abschaffen. Dies ist unmöglich. Im Bereich des Möglichen liegt da schon eher auf internationaler Ebene irgendwann einmal zu vereinbaren, von welchen Inhalten Kinder und Jugendliche fernzuhalten sind. Darüber gibt es nämlich keinen Konsens. So fällt es vielleicht verhältnismäßig leicht Kinderpornographie zu ächten, bei den rechtsextremen Angeboten wird es schon schwieriger.
Geht es nach dem JMStV halten wir am besten das Internet einmal an und kennzeichnen es erst einmal, damit es dem Anspruch an Filterprogrammen gerecht wird. Denn diese technische Lösung, das Blocken ungeeigneter Inhalte oder gar das Aussperren des eigentlichen Internets zugunsten eines Kinder-Nets ist es, was der Inhalt des JMStV Eltern anbietet. „Allein die Erziehungsberechtigten entscheiden, ob sie ein Jugendschutzprogramm auf den Rechner installieren wollen“, ließ Kurt Beck verlauten. Diese Entscheidungen fällen sie auch schon heute. Wenn man sich aber lediglich auf Filterlösungen verlassen will, sollten Eltern dementsprechend über die Möglichkeiten von Filterprogramme aufgeklärt werden. So spricht selbst der JMStV von der „hohen Zuverlässigkeit“ bei Filterprogrammen. Wenn diese Bewahrpädagogik allein auf Filterprogrammen aufsetzen sollte, dann bitte auf zuverlässige und nicht nur „hoch zuverlässige“ Lösungen. „Hoch zuverlässig“ impliziert auch mal nicht zuverlässig. Übrigens, schon heute stören sich Kinder bis 11 Jahren an Filterlösungen. Ab diesem Alter verfügen sie zum größten Teil über die technische Kompetenz um Filter auszutricksen. Ab dann versagt Bewahrpädagogik. Wenn wir hier nicht nur von Kindermedienschutz, sondern von Jugendmedienschutz reden wollen, verlangt es spätestens hier eine ausgebildete Medienkompetenz.
In dem JMStV ist ständig die Rede von der Verpflichtung der Anbieter. Ich habe bei der Lektüre auf einen Passus gewartet wie sich die Länder auf die Ausbildung von Medienkompetenz oder zur Medienbildung verpflichten. Ich habe sogar nachgezählt: 19 mal fallen die Begriffe „Kennzeichnung“, „kennzeichnen“ oder „Kennzeichen“. Kein einziges Mal finde ich dort den Begriff der „Medienkompetenz“. Brauchen wir aufgrund von „hoch zuverlässigen“ Filterlösungen keine Medienkompetenz mehr? Vielleicht haben die für den Entwurf des JMStV Verantwortlichen aber auch recht, unser Bildungssystem ist gescheitert, die Medienpädagogik hat versagt, ein Grundrecht auf Informationsfreiheit ist gefährlich, weil Pädagogen und Medienpädagogen einfach keine medienkompetenten, mündigen Bürger ausbilden können.
Doch nicht die ganze Ausbildung von Medienkompetenz ist gescheitert. Eine Altersprüfung im Internet via technischer Hilfsmittel wie „Dongles“ könnte durchaus die technische Kompetenz bei jugendlichen Bastlern stärken. Eine weitere Herausforderung für Bastler wäre eine Software mit der es gelingt ein zeitbeschränktes Internet nach 23:00 aufzuzeichnen. Verzeihen Sie mir diese Zukunftsversionen.
Zurück zum Entwurf: Es gibt durchaus gute Ansätze, wie beispielsweise eine Postitivliste wie z.B. FRAGFINN für Eltern und Kinder bereit zu stellen. Ich habe aber auch Probleme im JMStV gefunden. „Nachrichten sind zumutbar“ heißt es da an einer Stelle und damit nicht kennzeichnungspflichtig. Es gibt durchaus problematische Berichterstattung und nicht immer kinder- und jugendgeeignete Bildmaterialien. Ich erinnere hier kurz an einen Clip auf YouTube, der unter Jugendlichen heiß gehandelt wird. Hierbei handelt es sich um einen Zusammenschnitt von Videos aus RTL-News, der durchaus dem Tasteless-Bereich zuzuordnen ist. Wie nicht nur Jugendmedienschützer sondern auch Medienpädagogen wissen, ist Cybermobbing nicht nur entwicklungsbeeinträchtigend. Ist Cybermobbing oder die Möglichkeit zum Cybermobbing kennzeichnungspflichtig? Wer kennzeichnet dies nach welchen Kriterien?
Meiner Meinung nach brauchen wir für einen vernünftigen Jugendmedienschutz, der dem Medium Internet in all seinen Möglichkeiten gerecht wird, ein völliges Umdenken und keine bloße Korrektur eines bestehenden Staatsvertrags. Hierbei ist eine Debatte über einen wirksamen Jugendmedienschutz ohne Zensur als Nebenwirkung für seine Akzeptanz unter den Digital Natives wichtig. Eine Beachtung der Ausbildung von Medienkompetenz unerlässlich oder gar die Einbettung dieser in eine allgemeine Medienbildung. Der bisherige Entwurf des JMStV ist eine Alibilösung, in einer Zeit, in der einige Politiker davon sprechen, Geld für Bildung einzusparen. Medien wegzusperren anstatt junge Nutzer medienkompetent auszubilden, erscheint in solchen Zeiten als reizvolle Lösung. Auch für eine Industrie, die Filterlösungen erstellt. Eine medienpädagogische Lösung finde ich hier nicht. Soll aber vielleicht auch gar nicht gefunden werden. Kurz: Dieser Entwurf ist ein Rückfall in die Bewahrpädagogik der 80iger Jahre des letzten Jahrhunderts und wird mir als Medienpädagogen die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen genauso schwer machen wie die Berichterstattung der Print-Medien nach dem Amoklauf von Robert E. Steinhäuser.